Haushaltsrede

Haushaltsrede 2023

Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin Widmaier,

sehr geehrte Herren Amtsleiter,

liebe Kolleginnen und Kollegen Stadträte,

verehrte Bürgerinnen und Bürger,

Menschen spielen Schach, sie beherrschen das Klavierspiel, machen dank Mobilität und Kommunikation die Welt zu einem Dorf; sie fliegen zum Mond und darüber hinaus, verändern den genetischen Bauplan von Lebewesen und entwickeln in Windeseile Impfungen gegen Seuchen. Mit dem James-Webb-Teleskop können sie seit einiger Zeit sogar die nahezu ältesten Sterne im Universum ablichten – oder anders formuliert: Die Menschheit kann Fotos in der Vergangenheit knipsen.

Das alles hält einen Teil unserer Spezies offensichtlich nicht davon ab, auf seine niedersten Instinkte zurückzugreifen. Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine kehrt der Krieg zurück nach Europa. Kaum hatten wir eine Großkrise überwunden, steht schon die nächste ins Haus. Dabei hatten wir doch so die Nase voll von schlechten Nachrichten.

Wer meint, das alles betreffe Kommunen nicht, der täuscht sich ganz gewaltig. Die vergangenen Krisen haben in Rutesheim und Perouse nicht nur Spuren hinterlassen – sie werden auch auf lange Sicht unser kommunalpolitisches Handeln prägen. Und damit meine ich nicht nur die Rückkehr der Sirenen für ca. 75.000 €. Corona, Wohnraummangel, Flüchtlingsbewegungen, Fachkräftemangel, demographische Entwicklung, Ökologie, Digitalisierung, Infrastrukturerhalt, Inflation, Energie und auf absehbare Zeit auch Staats- und damit Stadtfinanzen sind die politischen Schubkräfte unserer Zeit.

Werfen wir zunächst einen Blick zurück auf die Großkrise der vergangenen Jahre. Dank Impfungen und glücklichen genetischen Entwicklungen haben wir Corona zwar nicht besiegt, aber immerhin sehr gut in den Griff bekommen. Was fast noch mehr erstaunt: Das von vielen Experten prognostizierte wirtschaftliche Untergangsszenario blieb aus, auch wenn die Folgen in Teilen durchaus dramatisch waren. In Rutesheim und Perouse sieht man das ganz gut ein zwei Maßzahlen – der Gewerbesteuer und dem Anteil an der Einkommensteuer. Mit 4 Mio. € bzw. 9,4 Mio. € bleiben beide wesentliche Einnahmequellen im Ergebnishaushalt. Während die Gewerbesteuer zumindest stabil bleibt, wächst die Einkommenssteuer sogar von Jahr zu Jahr. Fraglich bleibt, wie sich die Wirtschaft in diesem Jahr entwickeln wird.

Eine weitere Großkrise, die uns seit Jahren zu schaffen macht, ist der Wohnraummangel in Ballungsräumen. Erzählungen aus dem Bekanntenkreis gleichen echten Horrorgeschichten mit den immer gleichen Themen: Missbrauch von Eigenbedarfskündigungen, Weitervermietung von Wohnungen zu Mondpreisen, aber ohne Meerblick sowie der Verkauf von Immobilien, der sich eher an Monopoly als an sozialer Marktwirtschaft orientiert. Die Ursache dafür: Knappheit an Wohnraum. Deshalb unterstützen wir auch die Bemühungen der Stadt um neue Wohngebiete.

Keine Frage, die Konversion des Bosch-Areals hat viel mehr Zeit gebraucht als anfangs gedacht. Aus heutiger Sicht muss man sagen: Es war gut, dass wir hier nicht im gewohnten Rutesheimer Tempo vorgehen konnten. Wenn man sich die Planung und insbesondere die Konzepte rund um das Thema Umweltschutz anschaut, wächst unsere Begeisterung für dieses Areal immer mehr. Und es macht Mut für den Gebersheimer Weg, den wir ebenfalls auf dem Radar haben. Gleiches gilt für die Krautgärten in Perouse. Was die Entwicklung im Spissen und im Heuweg angeht: Mit dem Vorkaufsrecht haben wir ein Instrument in der Hand, mit dem wir in potenziellen Erschließungsgebieten schon heute Preisspekulationen verhindern können. In der Vergangenheit haben wir hier Lehrgeld bezahlt.

Klar ist aber auch: Den Mangel an Wohnraum in der Region werden wir in Rutesheim alleine nicht lösen, zumal wir in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten schon enorme Flächen erschlossen haben. Der Preis dafür wäre zu hoch – eine überbordende Versiegelung unserer Fläche. Das lehnen wir alleine aus Gründen der Gerechtigkeit gegenüber nachfolgenden Generationen ab. Auch der Erhalt des Grüngürtels rund um Rutesheim sollte in unseren Augen bei den Planungen eine wichtige Rolle spielen.

Weitere Großkrisen unserer Zeit, die uns vor Ort treffen und ebenfalls etwas mit Wohnraum zu tun haben, sind internationale Fluchtbewegungen. Wir unterstützen unter anderem ausdrücklich den Erwerb von Wohncontainern für ca. 600.000 €. Ohne diese Einrichtungen müssten wir auf absehbare Zeit unsere Sporthallen belegen. Welche Auswirkungen das auf unser Vereinsleben, auf die Schulen und auf die Einstellungen gegenüber Geflüchteten hätte, können wir uns alle ausmalen. Genau aus diesem Grund sollten wir das vermeiden, solange wir es noch selbst in der Hand halten.

Zusätzliche Großbaustellen sind die demographische Entwicklung und der Fachkräftemangel. Zum Geburtenmangel: Durch Zuzüge wird bei uns in der Stadt die generelle Entwicklung noch verdeckt – ohne Neubaugebiete dürfte es auch in Rutesheim und Perouse ganz anders aussehen. Entsprechend brauchen wir mehr KiTa-Plätze und ausgeweitete Betreuungsangebote, wie z. B. den Anbau mit Schlafräumen im Kindergarten in der Richard-Wagner-Straße, der mit ca. 1 Mio. € zu Buche schlägt. Was wir seit Jahren bemängeln, ist das falsche Finanzierungssystem in diesem Bereich. Hochwertiges Personal kostet Geld, und wir finden das richtig. Die Folge ist aber, dass wir alljährlich Gebühren erhöhen müssen – für Eltern von Kleinkindern ein echtes Problem. Und das hängt wiederum mit der demographischen Entwicklung zusammen. Seit über 50 Jahren sind die Geburtenraten bei uns so, dass die Zahl potenzieller Mütter mit jeder Generation um ca. 1/3 abnimmt. Man müsste also diesen weniger werdenden Müttern das Kinderkriegen zumindest in finanzieller Hinsicht immer schmackhafter machen – tun wir aber nicht in Deutschland. Entsprechend war der Fachkräftemangel in Deutschland lange absehbar, wenn nicht sogar politisch fehlgesteuert. Es wird auch für uns schwieriger werden, Fachkräfte für Kindertagesstätten zu finden. Erst recht gilt das für die Pflege und die Sozialstation, bei der wir bereits mit 100.000 € weniger Gebühreneinnahmen kalkulieren. Man sieht: Als Stadt werden wir hier zum Opfer einer politischen Fehlsteuerung, die bereits vor Jahren angelegt worden ist.

Bei einigen der eingangs genannten Großkrisen haben wir als Stadt neue Wege eingeschlagen, was uns als Sozialdemokraten freut. So zum Beispiel beim Thema Umweltpolitik. Die vollständige Umrüstung der Straßenbeleuchtung auf LED ist der Schlusspunkt einer langfristigen Maßnahme. Daneben haben wir aber mit dem Rutesheimer Weg noch zahlreiche weitere Umweltschutzprojekte begonnen. In diesem Rahmen fällt etwa die Investition über 550.000 € für Photovoltaik auf der Realschule und der Sporthalle Bühl II. Weitere Großprojekte sind Windkraftanlagen, für die wir zumindest potenzielle Standorte ausgewiesen haben, sowie die Gründung der Stadtwerke. Letztere statten wir mit Eigenkapital von 50.000 € sowie einem Darlehen über 200.000 € aus, um den Neubau einer Heizzentrale und den erstmaligen Bau von Fernwärmeleitungen zu ermöglichen. Für die Zukunft plädieren wir im Rahmen des Rutesheimer Wegs für weitere Projekte, die echte Effekte auf den Umweltschutz erzielen.

Ebenfalls eine Krise unserer Zeit ist der Erhalt der Infrastruktur und – wenn man etwas weiterdenkt – der Schutz des natürlichen Lebensumfelds. Viele Kommunen in Deutschland sind in den vergangenen Jahrzehnten enorm gewachsen und müssen heute mehr denn je in den Erhalt der Infrastrukturmaßnahmen investieren. So auch unsere Stadt: Dass unsere Kanäle in weiten Teilen in schlechtem Zustand sind, hat uns alle vor wenigen Jahren überrascht. Daraus hat sich eine jährliche Dauerverpflichtung im sechsstelligen Bereich entwickelt; alleine in diesem Jahr sind es 620.000 €. Ebenfalls zum Erhalt der Infrastruktur und der Lebensbedingungen vor Ort zählt in unseren Augen die Ortskernsanierung IV, u. a. in der Gebersheimer Straße, mit zunächst etwas über 720.000 €. Hier plädieren wir eindrücklich für den Vorrang von Radfahrern, Fußgängern und sonstigen Alternativen zum Pkw-Verkehr. Schließlich gehört unserer Ansicht nach auch der Wald zur Lebens-Infrastruktur. Keiner kann mehr leugnen, dass es dem Wald schlecht geht. Wir müssen alles dafür tun, um ihn fit für die Zukunft zu machen – ökonomische Interessen sind hier absolut nachrangig.

Noch ein Großthema unserer Zeit: Es gibt viele gute Gründe, die für Digitalisierung sprechen. Um nur zwei zu nennen: 1. Wollen wir in Zeiten des Fachkräftemangels noch Personal gewinnen, erreichen wir das nicht mit bedrucktem Papier, Locher und Büroklammer, sondern mit prozessorientierten Softwarelösungen. 2. Wer selbst in Krisenzeiten agil bleiben möchte, muss für mehr Effizienz sorgen. Digitale Lösungen schaffen das – wenige Klicks ersetzen unzählige Gänge zu Aktenschränken. 3. Digitalisierung wird von unseren Bürgerinnen und Bürgern erwartet – alleine die Äußerungen aus unserem Umfeld zum bislang noch papiernen Verfahren rund um Bauanträge sprechen Bände. Die 20.000 €, die hierfür eingestellt sind, sind eine gute Investition.

Von daher hat es uns sehr gefreut, dass wir in der Zwischenzeit mit dem BürgerGIS eine umfassende Softwarelösung für viele kommunale Prozesse etabliert haben. Auch beim Dokumentenmanagement sind wir auf dem Weg. Und die Aufwendungen für Software- und IT-Dienstleistungen mit 185.000 € sind eine Summe, die der Realität zunehmend gerecht werden. Nicht zuletzt begrüßen wir die 368.000 €, die unsere Schulen im Rahmen des Digitalpakts vom Bund erhalten.

Alles in allem sehen wir: Es geht voran. Deshalb sprechen wir an dieser Stelle ein Lob aus, erteilen aber keine digitale Absolution. Unser Wunsch ist es, hier mit dem gleichen Tempo weiterzumachen. Im besten Fall wird Digitalisierung zukünftig ein Markenkern unserer Stadt.

Ein weiteres Großthema unserer Zeit ist die Inflation und zunehmend auch die Entwicklung von Staats- und damit Stadtfinanzen. Schon im vergangenen Jahr haben wir vor der Entwicklung der Teuerungsrate gewarnt – es kam schlimmer als erwartet. Alleine die Kosten für Heizung und Brennstoffe sind auf über 700.000 € und die Stromkosten auf über eine halbe Mio. € gestiegen. Auch die Kosten für Handwerker oder Baumaßnahmen kennen nur eine Richtung. Verständlicherweise müssen wir auch in der Stadtverwaltung mit steigenden Löhnen und Gehältern rechnen, die mit 13 Mio. € bereits über 1/3 unserer Aufwendungen im Ergebnishaushalt ausmachen. Zu allem kommt noch die Kreisumlage in Höhe von 5,4 Mio € hinzu – mit stark steigender Tendenz.

Das stimmt pessimistisch, erst Recht, wenn man sich vor Augen führt, dass wir im Ergebnishaushalt erneut mit einem Verlust kalkulieren – in Höhe von 730.000 €. Hier bleiben wir ganz erheblich abhängig von Schlüsselzuweisungen über ca. 5,4 Mio € sowie Zuweisungen für laufende Ausgaben mit etwa 4,8 Mio. €. Nicht zu Unrecht warnte unser Kämmerer mit Blick auf den Ergebnishaushalt in der Dezember-Sitzung mit den Worten: „Die Schere zwischen Erträgen und Aufwendungen geht deutlich auseinander.“

Es gibt jedoch ein paar Aspekte, die uns beim Thema Inflation und Stadtfinanzen positiv stimmen. So zahlen wir kein Verwahrentgelt mehr, sondern rechnen vielmehr wieder mit wachsenden Zinseinnahmen. Auch erwarten wir einen Zahlungsmittelüberschuss von 2,5 Mio. € und rechnen am Ende des Planjahrs mit einer Liquidität über 9 Mio. €. Nicht zuletzt bleiben wir schuldenfrei und damit handlungsfähig.

Wirft man jedoch einen Blick auf den Finanzhaushalt, erkennt man sofort – und wie in den vergangenen Jahren auch – das dünne Eis, auf dem wir uns bewegen. Es bleibt ein strukturelles Problem unserer Haushalte: Ohne Grundstücksverkäufe keine Projekte. Über 80% der Einnahmen im Finanzhaushalt bzw. 10,4 Mio. € basieren darauf – ein Vorgehen mit Endlichkeitsfaktor, ohne dass es jedoch keine Entwicklung im Spissen, im Gebersheimer Weg, in den Krautgärten, im Schertlenswald oder im Bosch-Areal geben würde. Dennoch bleibt 2023 ein Finanzierungsdefizit von 3,6 Mio. €, dass wir mit vorhandener Liquidität überbrücken müssen. Auch wenn es aktuell noch funktioniert: Irgendwann werden wir uns der Diskussion stellen müssen, wie denn Rutesheimer Haushaltspläne gestaltet werden können, ohne Grundstücksverkäufe zu einem wesentlichen Einnahmeposten zu machen. Und wir werden auch darüber sprechen müssen, mit welchen kleineren Stellschrauben bei den Einnahmen und Ausgaben wir unsere Finanzen sattelfest für die Zukunft machen können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

Inflation, Energiekrise, Rezession, Nachrüstung: Diese Ereignisse waren ein wesentliches Merkmal der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Was mir Hoffnung für heute gibt: Durch diese geballten Großkrisen wurden in dieser Zeit wichtige Innovationen hervorgebracht. So wurde etwa der Spritverbrauch von damals im Durchschnitt 18 Liter auf später ca. 10 Liter gesenkt.

Auch heute kann man solche Tendenzen fernab von Greta erkennen – es tut sich was im gesellschaftlichen Klimabewusstsein. So lag der Pro-Kopf-Verbrauch von Schweinefleisch und Tomaten in Deutschland 2021 mit 31 kg erstmals auf gleicher Höhe. Mit unserem kommunalen Engagement für mehr Klimawandel fangen wir an, diese Entwicklungen für unsere Stadt zu nutzen.

Doch nun genug mit Krisenstimmung. Last not least noch ein Punkt, der nichts mit Krisen zu tun hat: Unsere Landschaft an Vereinen, Organisationen und Kirchen ist beeindruckend. Davon und von all den privaten Netzwerken, die sich hier bilden, können wir in diesen schwierigen Zeiten als Stadt nur profitieren. Die Vereinsförderung bleibt weiterhin gut angelegtes Geld.

Verfallen wir also nicht in Krisenstimmung, sondern arrangieren wir uns mit der Situation und machen das Beste daraus. Als Sozialdemokraten sind wir krisenerprobt – und das seit über 150 Jahren. Auch im kommenden Jahr wollen wir die Kommunalpolitik konstruktiv und kritisch begleiten. Entsprechend stimmen wir dem vorliegenden Haushaltsplan zu.

 

SPD Deutschland